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Erdbeben in der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft

Bildquelle: Ewa Studio / Shutterstock.com
Von Hakam Abdel-Hadi

In der ihm eigenen Ironie hat Konrad Adenauer, der erste deutsche Bundeskanzler nach dem 2. Weltkrieg, die politischen Verhältnisse  im Lande so beschrieben: In Deutschland gibt es eine Partei, die regiert, und eine andere in der Opposition, und eine dritte Partei, die sich um Regierungssitze schlägt.

Ja, die CDU bestimmte  die Geschicke der im Jahre 1949 gegründeten Republik  fast 50 Jahre, und die zweite Volkspartei, die SPD, übernahm das entscheidende  Amt für etwa 20 Jahre, während die dritte kleine Partei, die FDP, sich ausschlaggebend für die eine oder andere Koalition entscheiden und damit höchste politische Ämter übernehmen konnte.

So kam es beispielsweise, dass der einstige FDP-Vorsitzende, Hans Dietrich Genscher, Außenminister der Deutschen Bundesrepublik für 18 Jahre sein konnte.

Manche Medien witzelten über die hektischen unaufhörlichen Flugaktivitäten dieses geschickten Diplomaten: Bei einer Kollision von zwei Flugzeugen in der Luft wurde Genscher in beiden Maschinen gefunden.

Die Parteienlandschaft war bis 1980 überschaubar ; in diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass beispielsweise Helmut Kohl 16 Jahre Bundeskanzler war. Die CDU konnte meist gelassen mit der FDP regieren, die später ihre koalitionsbestimmende Rolle verlor.

In den vergangenen vier Dekaden begannen die Bürger zu glauben, dass sie in einer anderen Republik leben würden; neue Parteien sind entstanden, uralte Parteien, wie die SPD, haben ihre Bedeutung fast verloren, obwohl sie immer noch mit der CDU derzeit die große Koalition bildet:

1980 wurde die grüne Partei (ab 1991 Bündnis 90/Die Grünen) gegründet, eine Partei, die nach und nach eine bedeutende Rolle bei Regierungsbildungen in Bund und Ländern übernehmen sollte.

1989, das Jahr der deutschen Einheit, führte zur Entstehung der 4. Partei: DIE LINKE hat sich ab 2005 als parlamentarische Kraft im deutschen Parteiensystem fest etabliert.

Entstanden ist sie aus der WASG ( Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative) und der PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus). Damit hat sie ihre Wurzeln sowohl im gewerkschaftsnahen Umfeld und dem Protest gegen die Sozialpolitik der 2000er-Jahre, als auch in einer ostdeutschen Regionalpartei, die sich 1990 als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED gebildet hatte.

2013 entstand  die ausländer- und islamfeindliche rechtsgerichtete AfD, die inzwischen im Bundestag und in allen Parlamenten der Bundesländer vertreten ist.

In den 60-er Jahren wiederholte der einstige Verteidigungsminister und CSU-Vorsitzende, Franz Josef Strauss, unermüdlich die Behauptung, dass die CDU/CSU nicht zulassen würde, dass rechts von ihnen eine konservative Partei parlamentarische Erfolge verzeichnen könnte.

Im Jahre 2019 erzielte die AfD jedoch in Sachsen und Brandenburg astronomische Wahlerfolge, und die CDU war froh, dass sie von der AfD nicht als stärkste Kraft übertroffen wurde.

Wir haben in der Tat eine Art Erdbeben in den Parteienlandschaft: Die SPD ist keine Volkspartei mehr, die CDU verliert mehr und mehr ihre führende Rolle und die relativ neuen Parteien, Bündnis 90/Die Grünen, und die AfD gewinnen massiv an Bedeutung.

Was sind die Gründe für diese dramatischen Entwicklungen?

Ende der 70er Jahre wurde die Umweltfrage mit der sog. „Waldsterben“-Debatte aktuell. Leider übersahen selbst die gescheiten SPD-Politiker, wie der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt, die Bedeutung dieses Themas. Diese Frage verdrängt gegenwärtig sogar die Frage der Flüchtlinge. Die drohende weltweite Umweltkatastrophe und der internationale “Aufstand” der Schüler, der von der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg angeführt wird, verstärkten die Position der Grünen und die Bedeutung der zivilen Organisationen (NGOs).

Die deutsche Einheit verstärkte temporär die Linke, die Erbin der DDR Einheitspartei SED. Die Linke verliert jedoch langsam, wie die jüngsten Wahlen in Sachsen und Brandenburg zeigen, ihre anfängliche Bedeutung.

Es erübrigt sich zu betonen, dass die (Flut der….keine Naturkatastrophe!!) Flüchtlinge, vor allem seit dem Ausbruch der Kriege und Krisen in Syrien, Afghanistan und Irak, die deutsche Öffentlichkeit verunsicherten und zur massiven Verstärkung der AfD führten, die vor allem den Kampf gegen die Geflüchteten und den Islam (als ihr) in ihrem Programm deklarierte.

Bedauerlicherweise scheint sich die AfD tendenziell zu einer Volkspartei zu entwickeln, da sie Fuß selbst in den Reihen der Gewerkschaften und des Mittelstands fasst. Zwar weigern sich die sog. Bürgerlichen Parteien mit ihr zu koalieren, aber wie lange können sie davon Abstand nehmen?

International kommt den rechtsgerichteten Tendenzen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Polen, Italien, Ungarn, Tschechien, Slowenien  unter anderem zugute, dass die Weltpolitik nach wie vor von den USA und ihrem derzeit  stark nationalistischen und populistischen Präsidenten, Donald Trump, dominiert werden.

Wie lange werden diese Entwicklungen anhalten? Die Wahlen in den USA könnten dafür entscheidend sein.

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