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Verlieb dich nicht in einen Flüchtling

Von Fady Jomar

Verlieb dich nicht in einen Flüchtling. Seine Taschen sind vollgepackt mit den Schlüsseln der Wohnstätten seiner Reise. Es ist kein Platz darin für Leckereien oder Ringe. Seine Gesichtszüge wirst du erst entziffern können, wenn du das Kartenlesen beherrschst. Wenn du glaubst, er lache, ist das doch nur das Echo der Granaten. Sein Schweigen, das Weisheit ausströmt, ist der Horror der Alarmbereitschaft, in der er sich befand, als die Kugel des Scharfschützen ihr Ziel verfehlt hatte. Seine argwöhnische Gedankenlosigkeit ist die nächste Kugel des Scharfschützen, die ihn am Auge verletzte, als er einem Laib Brot nachjagte.

Sein Stottern, das dich zum Lachen bringt, wenn er versucht, dir etwas zu sagen, sind die Wiegenlieder, die Großmütter in seinem Land sangen und die er in- und auswendig kennt. Er trägt sie tief in seinem Herzen. Oder zumindest in dem, was von seinem Herzen geblieben ist. Seine dunkle Haut, die immer blasser wird, verzehrt sich nach der Sonne, deren zärtliche Berührung die unzähligen Narben, die er nun trägt, nicht mehr zu heilen vermag.

Vielleicht verletzen dich die Narben. Vielleicht tötet es ihn, dir erzählen zu müssen, wie sie ihn verwundet haben. Sein verdunkeltes Auge ist pures Verlöschen. Keine Nacht, kein Verlangen, kein Warten. Nur pures Verlöschen. Die Geschichten, die er über sein Land und dessen Helden erzählt, sind seine allnächtlichen Albträume. Glaubst du, einer, der dem Krieg entkam, ist der richtige Mann für die Frage: „Schön geträumt?“

Sehnsucht wirst du in seinem Gesicht nur in dem Moment erkennen, wenn er die Aufenthaltserlaubnis erhält. Es mag dir unverständlich erscheinen, dieses manische Erwarten eines Papiers. Wie könntest du auch begreifen, dass es den ganzen Unterschied zwischen einem Ding und einem Menschen bedeutet? Und im Übrigen: Was auch immer du tust, es wird dir nicht gelingen, die Enttäuschung auf seinem Gesicht zu vertreiben, wenn er erfährt, dass seine Aufenthaltserlaubnis auf ein Jahr beschränkt ist.

Verlieb dich nicht in einen Flüchtling. Es wird ihm nicht gelingen, die Grenzen zwischen euch zu überwinden, ganz gleich wie offen sie sind. Er hat bereits so viele Grenzen überquert, dass es für Generationen genügt. Auf seiner Reise wich er Polizisten und Kontrollbeamten aus, bis er seine Fähigkeit verlor, einem Moment der Leidenschaft auszuweichen. Wie könnte ein Mann, dem es an Zurückhaltung mangelt, dich je erreichen?

Er umarmte Bäume, die doch keine Arme hatten, um seine Umarmung zu erwidern. Er gewöhnte sich an die Einsamkeit, bis er begann, seine Mutter zu fürchten. Hast du schon mal einen Menschen ohne Arme umarmt? Ohne Atem, der sich in dem Moment der Umarmung erhebt? Er kennt die Erde. Nicht wie sie die Bauern bei der Aussaat kennen, über die du gelesen hast, und nicht wie die Kinder der Armen, die du in den Fernsehdokus gesehen hast. Er kennt sie so, wie es in den Schöpfungsgeschichten erzählt wird: Er hat erfahren, dass die Erde seine Substanz ist. Sie ruht in ihm, versuchte ihn zu verführen, begann ihm Geist einzuhauchen. Wäre da nicht die Sorge, er könne werden, was er ist: Ein Mensch auf der Schmuggelroute.

Verlieb dich nicht in einen Flüchtling. Es gibt keinen Raum für dich, keinen Platz für Geschenke in seinem kleinen Koffer. Darin befinden sich schon Splitter von Granaten, amputierte Gliedmaßen und Überreste von Straßen. Auch Schulen, von denen nur der Bordstein geblieben ist. Mütter, die in den Jahren des Wartens auf ihren Sohn keinen Schlaf mehr finden, weil sie nicht wissen, in welcher Hölle er gelandet ist. Bilder von Kindern aus seinem Viertel, die die Nachrichten in deinem Land nicht zeigen, weil sie „außerhalb des in den Medien Zeigbaren“ liegen. Wie soll er, wenn er Heimweh empfindet, die Kinder seines Viertels betrachten, wenn nicht auf den Bildern, die mit ihm geflüchtet sind, auch wenn sie nicht gezeigt werden dürfen? Wohin mit deiner Liebe? Kannst du dir deine Liebe nach einem Jahr mit diesen Gefühlen vorstellen?

Verlieb dich nicht in einen Flüchtling. Oder verlieb dich in ihn, wenn du in einem Haus des Wartens leben willst: Ein Morgen mit Nachrichtensendungen. Plötzliches Weinen ohne Grund. Ein verrückter Tanz nach einem Sieg, dessen Bedeutung du nicht verstehen wirst. Ein Sieg für ein paar Männer, zwei Gewehre, in einer kleinen Gasse, der Spielstätte seiner Kindheit. Verlieb dich in ihn, wenn du die Ortszeiten der Städte der Welt kennen lernen willst. Er prägt sie sich ein, um zu wissen, ob seine über die ganze Welt verstreuen Brüder und Freunde gerade aufgewacht sind oder ob sich bei ihnen der Tag schon dem Abend zuneigt.

Wenn du ihn liebst, lässt du seine Gesichtszüge vielleicht wieder auf seinem von Karten verhüllten Gesicht erscheinen. Oder du findest einen Rest Erde von seiner Reise, in der neue Träume sprießen können. Träume, die weit über die Rettung aus der Heimat hinaus gehen. Träume, die eine Vorstellung des Möglichen und des Unmöglichen zurückholen.

Wenn es passiert und du dich in einen Flüchtling verliebst, wirst du erfahren, dass es Dinge gibt, die wie Luft sind: Heimat, Zugehörigkeit, Sicherheit, Träume. Wir nehmen sie als gegeben, als verfügbar hin, bis wir ertrinken oder flüchten. Nur die Ertrunkenen kennen den Schmerz über den Verlust der Luft. Nur die Flüchtlinge und du, falls du dich in einen von ihnen verliebst, kennt den Schmerz über den Verlust der Heimat.

Aus dem Arabischen übersetzt von Sophie Schabarum

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