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Mein erster Tag in der Deutschschule

Von Fady Jomar

In meiner Kindheit: Ich bereitete meine Pausenbrote, Stifte, Bücher und mein Schreibheft vor und ging sehr, sehr früh zu Bett, denn morgen sollte mein erster Schultag sein. Daran erinnere ich mich wieder ganz genau, jetzt, wo ich, fast erwachsen, erneut in die Rolle des Kindes schlüpfe. Dennoch werde ich mich in diese Rolle hineinknien, ist es doch möglicherweise meine letzte Chance im Leben, aus tiefstem Herzen zu lachen, voller Unschuld zu meutern oder ohne Heimtücke zu lügen.

Auf dem Schulweg gingen mir die Wege wieder durch den Kopf, die ich in meiner Schulzeit gegangen war: Gedränge, verschmutzte Luft und Lärm. Das schreckliche Gefühl, das mich bei dem bloßen Gedanken an das Stirnrunzeln des „Trainers der Mannhaftigkeit“ oder den giftigen Blick des Schulleiters überkam, die tief sitzende Angst davor, sich womöglich unversehens zu einem Freund umzudrehen, wenn man beim Aufsagen der heiligen Texte ins Stocken geriet. Denn ein solches Vergehen konnte durchaus mit brennenden Stockhieben in grimmiger Kälte bestraft werden.

Die Lehmwände der Schule nahmen die Gestalt gewaltiger Gefängnismauern mit ihren von Glasscherben dekorierten Oberkanten an, die es den darin gefangenen Schülern unmöglich machten zu entfliehen. In meiner Erinnerung tauchte das Bild dieser großen schwarzen Tür wieder auf. Was hatten wir bloß verbrochen, dass uns eine solche Kindheit beschieden war? Kopfschüttelnd konzentriere mich wieder auf die schöne Umgebung, das beiderseits des Wegs unendlich weite Grün, das gemächlich aus Fenstern und Türen dringende Leben und die klare, kühle Luft, die meinen Kreislauf zu Höchstleistungen anregt. Von mir aus kann es losgehen!

Nochmal von vorn: Die Schule ist ein Schock. Der Klassenraum ist ein Schock. Die Schultafel ist ein Schock und der Bildprojektor sowieso. Die farbigen Wände, die Bilder, die Stühle, die Frisur des Lehrers, die Farben der Bücher … alles ganz anders als ich es aus meinem Schülerleben kannte. Wieder schüttele ich den Kopf. Obwohl ich nicht hier bin, um die Vergangenheit hervor zu zerren, zermürbt mir dennoch eine Frage den Kopf: In welcher Hölle habe ich bloß meine Kindheit verbracht??

Die Stimme des Lehrers riss mich aus den Gedanken: „Guten Morgen“ sagte er lächelnd auf Deutsch, um sogleich wie ein Maschinengewehr loszulegen. Ich hatte das Gefühl, all die Schönheit und der ganze Optimismus wurden mit einem Schlag pulverisiert. Ich fand mich in einem Dschungel unverständlicher Laute wieder. Mein Traum ging in „isch“ und „ich“ und „is“ unter, so dass ich fast verzweifelt losgebrüllt hätte: „Was mache ich bloß hier? Hiiilfe!“

Als er anfing, die deutschen Zahlen aufzusagen, war mir, als müsste ich erst einmal sämtliche Zähne verlieren, bevor ich sie aussprechen könnte. Der Versuch, diese seltsamen Laute richtig zu artikulieren, erzeugte so viel Druck auf die Schneidezähne, dass ich bestimmt nie mehr zubeißen könnte. Nach dieser Stunde würde ich Äpfel wohl nur noch in Form von Apfelmus genießen können. Um mich herum schaute ich in ratlose Gesichter. Die Zauberdroge, die der Lehrer in unsere Köpfe pumpte, hinterließ bei allen eine verändernde Wirkung. Die Gesichter bestanden plötzlich nur noch aus Augen, die voller Sehnsucht nach Erlösung auf die Uhr starrten. Wann endlich würde dieser erste Tage enden, an dem wir, mit einer Stecknadel bewaffnet, den Granit der deutschen Sprache zu bearbeiten versuchten?

Die erste Pause verging wie ein Wimpernschlag. Weder Sandwiches noch Kaffee konnten die blöde Angst, die durch meine Adern floss, stoppen. Schließlich nahm ich allen mir noch verbliebenen Stolz zusammen und ging zurück in den Klassenraum. Die zweite Stunde ging ich vorsichtiger an. Allmählich befreiten sich meine Augen aus ihrer zwanghaften Konzentration. Um mir Mut zu machen, vergegenwärtigte ich mir, was ich im Leben schon alles ganz gut hingekriegt hatte, und schon ging am Horizont ein zartes Licht der Erleichterung auf. Ich lernte das erste Wort der neuen Sprache, wohl wissend, dass vor mir noch ein meilenweiter Weg liegen würde.

Mit jedem neuen Wort stellte ich mir vor, was der nette Verkäufer im Zigarettenladen des Dorfes, in dem ich wohne, für Augen machen würde, wenn ich ihm auf Deutsch sage, was ich haben will, oder wie aufbauend es für die freundliche Mitarbeiterin im Sozialamt sein würde, wenn ich sie in ihrer Muttersprache begrüße. Ach was, warum sollte man nicht sogar noch weiter träumen? In Gedanken sah ich mich schon irgendwann als Dolmetscher für alle neuen Flüchtlinge im Dorf. Wie würde ich mich über deren erleichterte Blicke freuen! Dann werde ich auf Deutsch über meinen ersten Schultag schreiben und mich zusammen mit den Deutschen darüber amüsieren.

Dieser Artikel wurde im Rahmen der Kooperation zwischen Abwab und WDRforyou übersetzt. 

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