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EXILLITERATUR: Nemat Khaled

Von Lilian Pithan

Nadia liebt Djalal, aber irgendwie will das mit den beiden nicht so richtig klappen. Beide leben im Jarmuk-Camp in Damaskus, das über die Jahre hinweg von einem palästinensischen Flüchtlingslager zu einem normalen Stadtviertel geworden ist. Während ihre Liebe tiefer wird, machen sie Karriere als Journalisten und verwickeln ihre Freunde in politische Diskussionen. Doch Djalal betrügt Nadia mit der gemeinsamen Bekannten Mariam und entschließt sich endlich, Damaskus ganz zu verlassen. Wäre da nicht Hassna, die längst verstorbene Großtante Nadias, hielte diese sicher nicht so lange an ihrer unerfüllten Liebe fest. Hassna spukt durch den gesamten Roman, aber nicht als konventioneller Geist, sondern als Erinnerung oder Geschichte, die Nadia keine Ruhe lässt.

Im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 musste Hassna aus Palästina auf die syrischen Golan-Höhen fliehen, ihr Geliebter Awwad stirbt bei der Verteidigung seines Heimatlands. Ihre eigene unglückliche Lebensgeschichte treibt Hassna dazu, die Liebesbeziehung zwischen Nadia und Djalal zu forcieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Nadia wird so zur „Herrin der zwei Zeiten“, die in ihren Selbstgesprächen mühelos zwischen dem Palästina von 1948 und dem Syrien nach dem 11. September 2001 herumspringt: „Wann immer ich will, schicke ich mal die eine, mal die andere Zeit in ihre Epoche zurück und öffne jeweils die Fenster zur anderen Zeit, damit ihre Spuren über deine Wege fließen.“

Die Liebe ist wie eine Basilikumpflanze

Die palästinensisch-syrische Autorin Nemat Khaled inszeniert diese verzwickte Liebesgeschichte in ihrem Roman Hennanacht als ein Stimmengewirr, das von den Gedanken und Träumen Nadias zusammengehalten wird. Ihre Sprache klingt in der deutschen Übersetzung von Nuha Sarraf-Forst und Angelika Rahmer gelegentlich schwer, von poetischen Bildern überladen, doch wechseln diese Passagen immer wieder ab mit luziden Aufschlüsselungen der politischen Situation und der Gefühlswelten der Protagonistin. Die ersehnte „Hennanacht“ des Titels, in der die Hände der Braut in der Nacht vor ihrer Hochzeit mit Henna verziert werden, erlebt weder Nadia noch Hassna. Stattdessen rätseln die beiden darüber, wie das Leben hätte sein können, wenn sie nicht aus ihrer Heimat vertrieben oder ihre Liebe nicht wie das Basilikum auf dem Fensterbrett von Djalals Zimmer vertrocknet wäre.

Doch die alten Metaphern wie die des furchtlosen Reiters, der im Licht des anbrechenden Tages in den Kampf um sein Heimatland reitet, funktionieren in der Gegenwart des 21. Jh.s nicht mehr. „Die Zeit der Reiter ist vorbei. Unsere Zeit ist die Zeit der Echsen“, meint Nadia, während sie darum kämpft, sich von der Geschichte, den Traditionen und dem Gerede ihrer Großtante zu befreien. Ob das überhaupt möglich ist, lässt Nemat Khaled in Hennanacht offen. Eine pessimistische Leserin möchte hinzufügen: Von den Geistern der Vergangenheit kann man sich niemals vollends befreien.

Alawi Verlag, 160 Seiten, 19,90 Euro

Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt

Mein erstes Jahr als Flüchtling