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Die Stimme der Exilliteratur

Von Lilian Pithan

Sind Texte „aus Deutschland“ immer auf Deutsch und von Deutschen geschrieben? Natürlich nicht, möchte man dem Fragesteller lakonisch entgegnen und ihn gleichzeitig für die Einfachheit seiner literarischen Weltanschauung rügen. Doch so simpel, wie die Frage auf den ersten Blick erscheint, ist sie nicht. Auch wenn ein Text „aus Deutschland“ von einer Nigerianerin, einem Jemeniten oder einer Indonesierin auf Englisch, Arabisch oder Bahasa Indonesia verfasst sein könnte, entspricht das doch im globalisierten 21. Jh. immer noch nicht der Erwartung der meisten Leser.

In diesem Sinne ist dem Schweizer Secession Verlag mit der im Oktober erschienenen Anthologie Weg sein – hier sein ein kleiner Coup gelungen: Der von dem deutschen Journalisten und Verleger Joachim von Zepelin konzipierte Band trägt den Untertitel „Texte aus Deutschland“ und versammelt zwischen rotgrünen Buchdeckeln Erzählungen, Kurzgeschichten und Gedichte von 19 Autoren, die in den letzten Jahren aus Syrien, dem Jemen und dem Iran nach Deutschland geflüchtet sind. Viele der Texte sind im deutschen Exil entstanden und wurden dank einer Förderung des Deutschen Literaturfonds aus dem Arabischen und dem Farsi ins Deutsche übersetzt. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie sich intensiv mit der Erfahrung von Flucht und Exil beschäftigen. Der Blickwinkel von Schriftstellern, die viel tiefer als andere Menschen in ihrer jeweiligen Sprache und Kultur verwurzelten sind, ist in diesem Rahmen ein gänzlich anderer und oft bei weitem facettenreicherer. Mit er Anthologie wolle man eben diese „Stimme der Literatur“ in der Flüchtlingsdebatte hörbar machen, so der editorische Ansatz von Joachim von Zepelin und seiner Mitstreiterin Christine Thalmann.

Das Themenspektrum von Weg sein – hier sein ist dementsprechend ein weites und nicht wenige Texte befassen sich stärker mit den Erinnerungen an die Heimat als mit dem unmittelbaren Erleben des Exils. Zu den syrischen Autoren der Anthologie gehören Rasha Abbas, Ayham Agha, Ramy Al-Asheq, Assaf Alassaf, Mohammad Al Attar, Lina Atfah, Daher Ayta, Khwala M Dunia, Aref Hamza, Yamen Hussein, Noor Kanj, Kenan Khadaj, Amer Matar, Widad Nabi, Nihad Siris, Raed Wahesh und Rosa Yassin Hassan. Aus dem Iran steuert Pegah Ahmadi einen Text bei, den Jemen vertritt der Dichter Galal Alahmadi und das Vorwort für den Band stammt aus der Feder des deutsch-irakischen Autors Sherko Fatah. Die Texte werden begleitet von Porträts der 19 Autoren, die der Berliner Fotograf Mathias Bothor eigens für die Ausgabe gemacht hat.

Vorgestellt wurde die Anthologie bereits im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, zu der auch die Autoren eingeladen wurden. Weg sein – hier sein, so die Idee des Secession Verlags, solle für sie zum Sprungbrett werden, um Kontakte zu deutschen Übersetzern und Verlegern zu knüpfen. Denn daran fehlt es in der hiesigen Literaturlandschaft wohl am meisten: Übersetzungen arabischer Autoren und Lyriker – besonders der Gegenwart – sind rar und vor allem zweisprachige Ausgaben werden selten gedruckt. Dabei wären diese doch gerade im Falle der Lyrik so wichtig. Auch wenn die Stimme der arabischen Schriftsteller, im Exil und in der Heimat, keineswegs eine leise ist, so geht sie in Deutschland im Lärm des Literatur- und Verlagsbetriebs unverdienterweise unter. Weg sein – hier sein ist auch deshalb kein Buch wie jedes andere, auf das aber hoffentlich noch viele weitere folgen werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung plant schon eine mehrsprachige Ausgabe der Anthologie, um die Inhalte auch einer nicht deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Denn ein „Text aus Deutschland“ kann eben auch von einer syrischen Autorin auf Arabisch verfasst worden sein.

Secession, 256 Seiten, 24 Euro

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