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Geteilte Meinungen, getrennte Wege

Von Ramy Al-Asheq

In einem abgeschiedenen Dörfchen am Rhein lebt eine syrische Familie: Mutter, Vater und Tochter. Überall herrscht Ruhe. Unterhalb des Hauses erstreckt sich der Pferdehof der deutschen Familie, bei der sie wohnen. Dieser Ort vermittelt einen Eindruck von Ruhe und Geborgenheit. Überall ist es grün, das Haus ist mit Sorgfalt gepflegt. In der Bibliothek gleich hinter der Haustür hängen alte Bilder. In dieser Umgebung strahlt Abdallah Gelassenheit aus, wenn er lächelnd von seinen Erlebnissen auf dem Weg nach Deutschland erzählt, von seinem Leben hier und seinem Traum, seiner Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen.

Sumaya kam erst neun Monate nach ihrem Ehemann, zusammen mit der gemeinsamen Tochter Julia, im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Deutschland. Die Spuren dieser Mühen lassen sich deutlich auf Sumayas Gesicht ablesen. Ihre Stimme ist leise und man spürt die Schlaflosigkeit, unter der sie noch immer leidet. Sumaya spricht nicht darüber, wie sehr sie die Ruhe dieses Ortes und eigentlich alles hier stört. Für sie ist dieses erste Jahr in Deutschland eine Zeit der Erholung und des Nachdenkens, des Neuaufbaus und der Zukunftsplanung. Gleichzeitig aber auch der gemeinsamen Sorge für Julia, die bald in den Kindergarten gehen soll. Außerdem kann Sumaya hier beginnen, Deutsch zu lernen.

Das Dorfleben ist natürlich ganz anders als das Stadtleben, obwohl beide ihre Vorteile haben. „Die Stadt ist gut, wenn man seine Ausbildung beenden und aktiv leben will“, meint Abdallah. „Manchmal auch wegen der Arbeit. Ich aber würde es lieber sehen, wenn alle Flüchtlinge erst einmal in kleinen Dörfern untergebracht würden. Die großen Städte verderben die Neuankömmlinge. Sie gehen dort verloren, besonders wenn sie im Alltag Englisch sprechen. Auf dem Dorf gibt es nur wenige Flüchtlinge. Man erkennt sie in der Dorfgemeinschaft und hat damit auch die Möglichkeit, auf sie einzuwirken. Das ist besser. Außerdem macht es das Dorfleben leichter, Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen, sich ihre Sprache anzueignen und die andere Kultur kennenzulernen. All das fehlt einem in der Stadt, wo es niemanden interessiert, ob man da ist oder nicht.“

Sumaya hingegen mag das Leben auf dem Dorf oder in der Kleinstadt nicht. Schon vor Jahren verließ sie ihre Heimatstadt Lattakia an der syrischen Mittelmeerküste, um in der Metropole Damaskus zu leben. „Kleinstädte engen mich ein. Ich bin lieber an einem lebendigen Ort, wo ich überall Menschen treffe und mich jederzeit und unmittelbar mit meiner Umgebung austauschen kann“, erklärt sie. „In Damaskus und auch in Istanbul gab es das alles. Ich weiß schon jetzt, dass dieser Ort hier für mich nur eine Durchgangsstation sein wird, wo ich schreibe, male und mich erhole. Dann aber werde ich in die Stadt ziehen.“

Sumaya hat an der Fakultät für Archäologie und Museumswissenschaften an der Universität von Damaskus studiert. Dort traf sie auch Abdallah, der im gleichen Fach einen Master-Abschluss hat und Vorlesungen hielt. Nach ihrem gemeinsamen Umzug nach Istanbul wollte Sumaya etwas mit Medien machen und belegte deshalb mehrere Weiterbildungskurse. Anschließend fand sie eine Anstellung bei den syrischen Rundfunkstationen „Saut Raya“ und „Watan“, die von der Türkei aus senden.

Sumaya und Abdallah haben in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Ansichten, aber die Liebe hält sie zusammen. Abdallah kam neun Monate vor seiner Frau und seiner Tochter in Deutschland an. Er überquerte das Mittelmeer und legte den Rest des Weges vor allem zu Fuß zurück. „Das schwerste Stück des Weges waren die Reisfelder“, erzählt er. „Wir versanken bis zum Bauch im Schlamm. Ich verlor meine Schuhe und lief dann lange barfuß.“ Er lächelt, als ob er sich an einen Ausflug von seiner Heimatstadt Idlib nach Aleppo erinnere, in friedlichen Zeiten.

Julia steht vor einem großen Fernsehapparat und verfolgt eine arabischsprachige Kindersendung. Die Lehrer haben den Eltern geraten, mit ihrer Tochter in der Muttersprache zu sprechen und es den Erziehern und Kindern im Kindergarten zu überlassen, ihr Deutsch beizubringen. Dort werde sie die fremde Sprache von ganz alleine lernen. Zu Hause dagegen sollten sie sich mit ihr auf Arabisch unterhalten, damit Julia später beide Sprachen beherrsche.

Abdallah hat im Deutschen bereits ein B1-Sprachniveau und will weiterlernen, damit er sein Studium fortsetzen und Arbeit finden kann. „Ich habe mich bei einem Museum hier in der Nähe beworben und war überrascht, als der Museumsleiter mich in sein Büro einlud“, erzählt er. „Wir haben uns lange unterhalten, er war sehr interessiert. Allerdings reicht mein Deutsch noch nicht aus für die schwierigen Begriffe aus den Bereichen Geschichte und Tourismus. Der Museumsleiter war sehr nett und entschuldigte sich höflich und zuvorkommend, obwohl er auch einen kurzen Brief hätte schicken können. Diese Einladung hat mir gezeigt, dass kein Grund besteht, die Hoffnung aufzugeben. Ich werde mich bemühen, noch besser Deutsch zu lernen.“

Sumaya hingegen arbeitet an einer neuen Radioserie über Personen, die sich in Syrien, in der Türkei, im Libanon und in Deutschland aufhalten. Zwischen all diesen Menschen sieht sie eine schöne Verbindung: „Dass sich eine Familie gemeinsam am selben Ort befindet, ist gar nicht mehr selbstverständlich“, meint Sumaya. „Wer in Deutschland ist, braucht jemanden in Syrien, der Dokumente besorgt oder sich um bürokratische Dinge kümmert. Die Menschen in Syrien aber brauchen jemanden hier in Deutschland, der ihnen hilft, hierher zu kommen, oder der ihnen Geld schickt. Das gilt auch für die Türkei, die für manche von uns Durchgangsstation und für andere ein neuer Wohnsitz geworden ist. Diese Beziehungen zwischen Menschen und ihren Interessen und Bedürfnissen will ich recherchieren und in Hörspielen darstellen.“

In ihrer Sicht auf ihre Heimat und in der Frage nach einer möglichen Rückkehr sind sich Sumaya und Abdallah uneinig. „Sicher werde ich nach Syrien zurückgehen“, sagt Abdallah. „Früher oder später kehre ich in mein Heimatland zurück, um es wiederaufzubauen. Das ist meine Pflicht“, meint er voller Optimismus. „Das bedeutet aber nicht, dass wir Deutschland verleugnen, schließlich hat man uns hier aufgenommen und uns das gegeben, was uns niemand anderes geben wollte. Wir haben Glück, in Deutschland zu sein, einem Land, aus dessen Geschichte wir viel lernen können. Nachdem es im Zweiten Krieg völlig verwüstet worden war, ist es wiederauferstanden und zu einem der stärksten Länder der Welt geworden. Für mich ist Deutschland der Beweis, dass auch meine Heimat Syrien eines Tages besser dastehen wird.“ Den Optimismus ihres Mannes teilt Sumaya nicht: „Ich gehe nicht zurück, weil Syrien nicht mehr wie früher sein wird.“

Sumaya möchte, dass ihre Tochter Deutsche wird. Abdallah sähe es lieber, wenn Julia zuallererst Syrerin wäre, ohne aber ihre zweite Heimat Deutschland zu verleugnen. Julia kann dazu noch nicht so viel sagen. Sie übt gerade, auf Arabisch zu zählen: „Wahid, ithnan, thalatha …“

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