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Die AfD: Es geht um mehr als kulturelle Differenz

Dr. Hani Harb*

Der Erfolg der rechtspopulistischen AfD bei der Bundestagswahl 2018 erschütterte Europa weit über der Grenzen Deutschlands hinaus. Mit einer Mischung aus Ausländerhass, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus und Angst vor einer vermeintlichen Überfremdung war es dieser Partei geglückt, ins Parlament einzuziehen.

Nachdem sich die erste Welle der Solidarität mit den Geflüchteten gelegt hatte, realisierte die deutsche Bevölkerung, dass in ihrer Mitte nun Menschen lebten, deren Kleidung und Sitten ihnen fremd waren. Wohingegen die Neuankömmlinge feststellen mussten, dass die Menschen, die sie einst willkommen geheißen hatten, sich wieder ihrem eigenen Alltag zuwendeten und nun von ihnen erwarteten, zu arbeiten, Deutsch zu lernen und ihren Lebensstil der Gesellschaft anzupassen. Keine der beiden Seiten hat verstanden, dass “die Anderen” lediglich versuchten, ihr Leben wieder wie gewohnt zu führen.

Eine Veränderung im Sinne von “Integration” stellt sich nicht von selbst ein: Sie braucht gegenseitige Akzeptanz und kann nicht gelingen, solange sich beide Seiten reflexhaft als Nazi oder Terrorist beschimpfen. Während Deutsche für jedwede Unmutsäußerung schnell als Nazis verunglimpft werden, erleben andersherum Neuankömmlinge, die auf die ein oder andere Art an ihren Gewohnheiten und kulturellen Eigenheiten festhalten, dass man sie mir nichts, dir nichts als rückständig brandmarkt oder gar mit Terroristen in einen Topf wirft.

Die Zuspitzung der öffentlichen Debatte um Migration und Integrationsprobleme sowie die übertriebene Aufmerksamkeit, welche die Medien vereinzelten von Geflüchteten begangenen Straftaten widmeten, führten in der Summe zu einem beängstigenden Aufstieg der extremen Rechten. Als die AfD bei den Landtagswahlen in Hessen, Bayern und anderen Bundesländern Erfolge erzielen konnte, schlugen CDU und SPD, die beide Popularität und Stimmen einbüßen mussten, Alarm. In anderen europäischen Ländern vollzogen sich ähnliche politischen Entwicklungen: Auch in Österreich, Polen, Italien und Ungarn konnten rechte Parteien Wahlsiege feierten.

Aber aufgrund massiver Streitigkeiten innerhalb der AfD scheint sich das Blatt zu wenden: Anfang 2019 berichteten die Medien von verschiedenen Lagerbildungen innerhalb der AfD. Hinzu kommt eine Serie von Finanzskandalen. Im Raum steht der Vorwurf der illegalen Parteifinanzierung mit Geldern aus dem Ausland beziehungsweise der persönlichen Vorteilsnahme durch Spenden zweifelhafter Herkunft – eine Anschuldigung, der sich derzeit die Fraktionsvorsitzende höchstpersönlich ausgesetzt sieht.

Mit dem schrittweisen Rückzug Angela Merkels von der politischen Bühne zugunsten der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und der zu erwartenden Nominierung von Friedrich Merz als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2021 schickt sich die CDU nun an, einen Teil der Wähler zurückzugewinnen, die sich aufgrund des politischen Kurses der Kanzlerin von ihr abgewendet hatten.

Angesichts des derzeitigen Umschwungs im politischen Klima Deutschlands, wirkt der Aufstieg der AfD wie ein kurzes Beben, das mit den Erfolgen der Grünen und den Versuchen der SPD, die Herzen der Wähler zurückzugewinnen, überwunden scheint. Auf gesellschaftlicher Ebene ist und bleibt daher der Austausch zwischen Neuankömmlingen und schon Dagewesenen das vielversprechendste Mittel, um jenseits von politischen Spielchen Integration und Zusammenleben erfolgreich zu gestalten und gegenseitige kulturelle Akzeptanz zu fördern.

*Dr. Hani Harb. Forscher an der Harvard University, USA

Übersetzung: Thomas Heyne

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