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Wie sich meine Mutter am Krieg beteiligte

Facebook /Heba.Alakkad.Art

Hossam Kalaji Schriftsteller aus Syrien.

Wenn mich meine Mutter per Whatsapp aus Damaskus anruft, ist ihr erster Satz: “Dein Zimmer sieht bestimmt wieder aus wie eine Müllhalde und du gehst ins Bett ohne Dir vorher die Füße zu waschen.” Bevor ich irgendetwas sagen kann, legt sie nach: “Ich wette, in der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr, der Boden ist schon ewig nicht mehr gewischt worden und Deine schmutzigen Kleider liegen überall herum! Ist es so schwer, sie einfach in die Waschmaschine zu stopfen?”

Wieder einmal frage ich mich, wie es den Müttern gelingt, inmitten eines schmutzigen Kriegs, inmitten von Nihilismus, so lebensbejahend zu bleiben.

Meine Mutter ist eine von Sauberkeit besessene Frau, die mehrmals am Tag die Fensterscheiben wischt. In der Tasche ihrer Schürze befinden sich immer Lappen und Putzmittel, über ihrer Schulter hängt stets ein kleines Handtuch für Notfälle.

In allen Lebenslagen verlässt sich meine Mutter auf ihre Nase: Sie riecht an der frisch gewaschenen Wäsche, um sie gegebenenfalls wieder zurück in die Waschmaschine zu werfen. Sie riecht an unseren Köpfen, jeden Morgen und jeden Abend. Als wir Läuse hatten, schor sie uns die Köpfe kahl und sprühte “Piff Paff” darauf, um uns dann, als wir vor Schmerzen durch die Gegend sprangen und uns die Köpfe rieben, aufmunternd zuzurufen: “Halb so wild, so sterben die Läuse!”

Als sie einmal im Auftrag meines großen Bruders bei der Familie seiner Angebetenen um ihre Hand anhalten sollte, wollte sie vor dem Haus kehrt machen und zurück nach Hause gehen. Auf dem Rückweg sagte sie ihm: “Eher friert die Hölle zu, als dass Du diese Frau heiratest! Ihr Haus stinkt!”

Wenn meine Schwester von der Schule nach Hause kommt, riecht sie an ihren Haaren und beklagt sich dann darüber, dass der Lehrer immer noch im Klassenzimmer raucht. Wenn sie vom Markt zurückkommt, geht sie als erstes ins Bad und beklagt: “Wir stinken!”

Meine Mutter kennt sich aus mit Chlor, täglich tränkt sie darin ihren Scheuerschwamm. Jedes Mal, wenn ich ihr sage, dass uns dieses Gift eines Tages töten wird, schimpft sie mich aus und nennt mich einen Dummkopf: “Hast Du denn in der Schule nichts gelernt? Möge Gott Dir Verstand schenken, liebes Kind! Wenn Chlor nicht gesund wäre, würden sie es doch nicht ins Leitungswasser mischen!”

Der seit Jahren andauernde Krieg in Syrien hat dem besonderen Geruchssinn meiner Mutter nichts anhaben können. Wenn sie sich abends auf den Balkon unseres Hauses stellt, kann sie sagen, welche  Waffen bei den Kämpfen in der Nachbarschaft gerade zum Einsatz kommen. Dann trägt sie meinem kleinen Bruder auf: “Renn schnell zu den Nachbarn und sag ihnen, dass es Chlor ist. Sie sollen die Fenster schließen.” Oder: “Es ist Giftgas, stopft alle Löcher zu!” Oder: “Sag ihnen, dass sie heute beruhigt schlafen können. Nur der Geruch von Schießpulver liegt in der Luft.” So beteiligt sich meine Mutter am Krieg, als ein auf Gerüche spezialisiertes Frühwarnsystem.

Wenn meine Mutter den Boden wischt, müssen wir auf Zehenspitzen innerhalb bestimmter Linien aufs Klo gehen, um keine Schmutzspuren zu hinterlassen – wenn sie es uns überhaupt erlaubt. Hierbei versteht meine Mutter keinen Spaß. Vom anderen Ende des Zimmers streift ihr Blick über die Fliesen, und wehe wenn sie einen Fußabdruck entdeckt! Dann müssen wir unseren Allerwertesten schnell in Sicherheit bringen.

Während unserer Flucht, jedes Mal, wenn wir eine Ländergrenze überquerten, war meine Mutter bei uns. Auf Zehenspitzen bewegten wir uns über Landkarten, um unsere Füße nicht auf der falschen Seite der ungeraden Grenzlinien aufzusetzen. Nicht dass wir die sauberen Fliesen mit unseren vom salzigen Meereswasser verdreckten Fußsohlen verschmutzen! Ich könnte das niemals tun, denn meine Mutter beobachtet meine Schritte immer aus der Ferne. Hinter mir versprüht sie Chlor und winkt mir mit einem Strohbesen zu, den sie in ihren zarten Händen hält.

Auf meinem Mobiltelefon habe ich ein Foto von meiner Küche gespeichert, auf dem sie aufgeräumt und sauber aussieht. Schließlich lebe ich in ständiger Bedrohung und unter ständiger Beobachtung. Jedes Mal, wenn meine Mutter um ein Foto von der Küche bittet, schicke ich ihr dieses zusammen mit einem weiteren, das eine Sammlung vieler verschiedener Chlorflaschen neben dem Spülbecken zeigt. So weiß ich, dass sie gut schlafen kann.

Übersetzung: Mirko Vogel, Mahara-Kollektiv, vogel@mahara-kollektiv.de

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