in

Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt

صرتُ أكثر حزنًا من أحمر شفاهٍ مهمل قرب مرآتها

Das sind glückliche Zeiten! Täglich verlasse ich das Haus in Begleitung meiner neuen Freundin. Ich sage nicht „meiner Besitzerin“, denn unsere Beziehung geht über das „Besitzen“ oder das „jemandem Gehören“ hinaus. Aber ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Ich bin das Fahrrad von Reem. Vielleicht hat sie mich zu ihrer Freundin gemacht, weil sie in einem norddeutschen Städtchen ohne regelmäßige Bus- und Bahnverbindung lebt. Gemeinsam können wir in einer Stunde jedes Eckchen von Lübtheen erreichen!

Zuvor war ich das Weihnachtsgeschenk einer deutschen Teenagerin, aber der war ich nicht bunt genug. Nachdem sie mich mehrere Monate in die Garage verbannt hatte, gab sie mich ans Rote Kreuz weiter. Das wiederum verschenkte mich an eine Zuwandererfamilie, damit die Ehefrau auf mir herumfahren könne. Doch als man nach mir fragte, holte mich der Mann hervor und sagte: „Fahrrad fahrende Frauen gibt’s bei uns nicht.“

Es begann mit einer Beleidigung…

Als ich zu Reem kam, hatte sie nicht die geringste Ahnung, was sie mit mir anfangen solle. Sie begutachtete mich und äußerte überheblich: „Viel schwerer als Auto fahren kann Fahrrad fahren ja nicht sein. Mit dem Auto fahre ich schon seit Jahren.“ Das empfand ich als Beleidigung. Ich sagte mir: „Ich werde dir schon zeigen, dass mich zu fahren wirklich schwierig ist!“ Reem war hartnäckig, ich aber war hartnäckiger. Offen gesagt gefiel es mir, dass wir uns so ähnlich waren. Trotzdem gab ich mich nicht geschlagen, sondern ließ Reem kapitulieren. Das geschah an dem Tag, an dem ich sie mitten im Wald abwarf und sie sich den Knöchel verstauchte.

Nach diesem Vorfall vernachlässigte Reem mich monatelang konsequent. Mehrfach hörte ich von viel schmerzhafteren Brüchen als dem, den ich ihr beinahe zugefügt hätte. Der Grund dafür war etwas, das sie „Krieg“ nannten. Eine solche Sache konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, aber ich begriff, dass die Erfahrungen, die Reem gemacht hatte, schrecklich sein mussten. Plötzlich tat mir mein Verhalten leid und ich beschloss, ihr zu helfen. Wenn ich sie nachts weinen hörte, wartete ich ungeduldig darauf, dass sie über die Schwelle träte. Eines warmen Frühlingsmorgens kurz nach Ostern öffnete sich die Tür zum Abstellraum wirklich. Reem erschien im Türrahmen und trat mit herausforderndem Blick zu mir: „Du oder ich?!“ Meine Antwort war ein stiller Aufschrei: „Du, du, du!“

Reem fuhr mit mir den schmalen Weg in Richtung Wald entlang. Befreit flog sie auf mir dahin, lachte laut, breitete die Arme aus und schwebte in Richtung Horizont davon. Vieles sah ich in diesem Augenblick von ihr abfallen: Trauer, Ausweglosigkeit, Ungerechtigkeit, Gefängniszellen und viele, viele Tränen. Ich bin mir aber sicher, dass ein Teil ihrer Seele für immer verloren sein wird.

Dieser Artikel wird in Kooperation mit WDRforyou übersetzt und veröffentlicht.

النرويج أكثر الدول سعادة وسوريا واليمن من أتعسها

EXILLITERATUR: Nemat Khaled