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Deutschland, die neue Heimat der arabischen Sprache?

Beatrice Gruendler
© Bernd Wannemacher

Von Lilian Pithan

Wer in Deutschland Hocharabisch lernen will, muss dafür an die Universität gehen. Als Wahlfach an Schulen ist die Sprache noch nicht angekommen, auch wenn die klassische Trias Latein-Englisch-Französisch immer stärker aufgebrochen wird. Wenn es nach der Arabistin Beatrice Gründler geht, soll auch das Arabische bald einen festen Platz auf deutschen Lehrplänen einnehmen. Von einem tieferen Verständnis eines vollkommen anderen Sprachsystems könne man nur schließlich profitieren – einmal ganz abgesehen von der beeindruckenden Literatur und Geschichte, die sich über das Arabische erschließen lassen.

Seit 2014 ist Beatrice Gründler Professorin für Arabistik am Seminar für Semitistik und Arabistik der Freien Universität Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der arabischen Sprache und Schrift sowie die klassische arabische Dichtung und Poetik. Aktuell arbeitet Gründler an einer kritischen Ausgabe des Kalila wa-Dimna, eines Fürstenspiegels aus dem 8. Jh. n. Chr. in Fabelform, und an der Übersetzung ausgewählter Werke des Dichters al-Mutanabbi (ca. 915-965). Im April wurde Gründler mit dem Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) ausgezeichnet, der als wichtigster deutscher Forschungspreis gilt.

Sie haben unlängst in einem Kommentar für die Wochenzeitung DIE ZEIT dafür plädiert, Arabisch als Fremdsprache an deutschen Gymnasien einzuführen. Warum?

Ich finde, wir könnten es besser machen: So viele junge Leute sitzen im Unterricht an der Universität und bemühen sich, das Arabische zu lernen in einem Alter, in dem das Erlernen neuer Sprachen nicht mehr so schnell geht. Wenn diejenigen, die das interessiert, aber eine Chance hätten, schon früher anzufangen, wäre es so viel effizienter. Der andere Grund ist, dass das Arabische ein ganz anderes Sprach- und Schriftsystem hat. In der Schule lernen die meisten Englisch und Französisch, also indoeuropäische Sprachen. Es gibt aber auch den ein oder anderen Studenten, der etwas Anderes zum Kontrast kennen lernen will und durch ein ganz anderes grammatikalisches System das eigene dann besser versteht. Deswegen finde ich, Arabisch als Wahlmöglichkeit an ein paar Gymnasien in Berlin einzuführen, wäre eine tolle Sache.

Nun gibt es in Deutschland ja auch viele Schüler mit Migrationshintergrund, die zuhause Arabisch sprechen. Warum wäre schulischer Arabischunterricht auch für sie wichtig?

Wir haben mittlerweile so viele Bürger, die einen arabischen Dialekt sprechen. Das Problem dabei ist, dass sie zuhause nur den Dialekt lernen, die gesprochene Version, und dann von ihrer Kultur einen Schritt entfernt sind, weil sie sie nicht auf wissenschaftlichem oder schriftlichem Niveau kennen. Schüler mit Migrationshintergrund würden in ihrem Wissen und ihrer kulturellen Identität davon profitieren, wenn sie die Möglichkeit hätten, ihre eigene Schriftsprache, das Hocharabische, zu erlernen. Man steht anderen Kulturen sehr viel offener gegenüber, wenn man ein Selbstbewusstsein hat, das auch darauf beruht, dass man sich in seiner eigenen Kultur zuhause fühlt. Dies würde auch insgesamt den Dialog an den Schulen zwischen arabischstämmigen und deutschen Schülern stärken.

In Ihrer Forschung konzentrieren Sie sich besonders auf die klassische arabische Dichtung und Poetik. Wo haben Sie selbst Arabisch gelernt?   

Überall (lacht). Ich habe mir zunächst ein Buch beschafft und es mir selbst beigebracht. Damals war ich noch am Gymnasium und habe Arabisch meistens unterm Tisch im Englischunterricht gelernt, weil ich den langweilig fand. Dann hatte ich Privatunterricht bei einem Lateinlehrer in einem benachbarten Gymnasium. Danach habe ich an der Universität in Straßburg studiert, wo der gesamte Unterricht auf Arabisch war. Schließlich kam die klassische Orientalistik in Tübingen und auch Fremdsprachenkurse an der American University in Kairo. Ganz traditionell habe ich auch an der Al-Azhar Universität Koranrezitation gelernt. Man muss das einfach tun, um eine korrekte Aussprache zu bekommen. Ich befasse mich ja mit Dichtung, die ihre Schönheit verliert, wenn sie nicht so klingt, wie sie klingen soll. Ganz am Ende folgte dann die Harvard University, wo ich meine verschiedenen Herangehensweisen ans Arabische integrieren konnte.

In den letzten Jahren ist das Interesse an der arabischen Sprache in Deutschland stark gestiegen. Beeinflusst das auch Ihr Institut?

Wir erfreuen uns momentan sehr großen Interesses. Wir haben in Berlin an der Freien Universität zirka 150 eingeschriebene Bachelor-Studenten der Arabistik allein, wozu noch die Bachelor-Studenten der Islamwissenschaft und der Semitistik kommen. Das sind alles Studenten, die bei uns Arabisch lernen. Aber unsere Klassen sind zu groß, wir haben nicht genug Lektoren. Man könnte auch einen weiteren Studiengang aufmachen, Arabisch für die Lehre, das wäre gar keine schlechte Idee, denn Arabischlehrer sind gefragt, und es gibt bis heute keine Bildungsstätte in Deutschland, die arabische Sprachpädagogik anbietet.

Die Resonanz auf Werke der arabischen Literatur ist leider weniger stark gestiegen. Bei der Verleihung des Internationalen Literaturpreises im Berliner Haus der Kulturen der Welt im Juli brüstete sich ein bekannter deutscher Verleger damit, die arabische Literatur überhaupt nicht zu kennen…

Mit Englisch oder Französisch hätte man sich so etwas nicht erlaubt. Es zeugt von einem Mangel an Offenheit und auch an Taktgefühl. Es ist aber vor allen Dingen eine verpasste Chance, denn man könnte es ja auch anders herum sehen: Man kann es keinem zur Last legen, dass er kein Arabisch kann oder nichts Arabisches gelesen hat, aber man kann sagen: „Ich kenne diese Literatur nicht, aber ich würde gerne etwas darüber hören, erzählen Sie doch mal.“ Man braucht nicht die Flucht nach vorn ergreifen und sein Unwissen verteidigen. Im Gegenteil! Es ist der Moment, diejenigen reden zu lassen, die diese Information haben.

In früheren Jahrhunderten lief der Kulturtransfer aus der arabischen Welt einmal viel besser, allerdings ist das den meisten Europäern nicht mehr präsent. Wie genau funktionierte das damals?

Im Mittelalter war man sehr viel neugieriger, was im Nahen Osten passierte. Man war sehr interessiert an der Wissenschaft in arabischer Sprache und anderen Sprachen des Nahen Ostens, denn man wusste, dass diese Region ein Kulturerbe besaß, das man sich zu eigen machen wollte. Ein konkretes Beispiel: Alfons der Weise (1221-1284) hat die spanische Sprache dadurch gefördert, dass er arabische Werke übersetzen ließ, um das Spanische kulturell auszubauen. Es war zuvor eine romanische Volkssprache gewesen, die viele Textgattungen nicht kannte. Durch arabischen Kulturimport ist das Spanische zu einer Literatursprache geworden. Im Mittelalter gab es ein allgemein großes Interesse an außereuropäischer Literatur. Wenn sie aber einmal ins Lateinische übersetzt war, hat man den Ursprung über die Jahrhunderte vergessen. Von Latein ging die nächste große Bewegung in die Nationalsprachen, also Französisch, Spanisch, Englisch und Deutsch. Dann hat sich auch das kulturelle Gleichgewicht verändert, sodass man nicht mehr zum Nahen Osten als einer Quelle wertvollen Wissens geschaut hat. Es gab darauf wieder eine Periode des Interesses in der Romantik, in der man viel nahöstliche und fernöstliche Literatur übersetzt hat. In dieser Zeit wurde die Philologie geboren, u.a. auch die Arabistik und die Indologie. Und jetzt… Ich bemerke, ich rede immer von den Zeiten des guten Kulturaustauschs (lacht). Jetzt haben wir wieder eine solche Zeit, in der durch negative Umstände und politische Krisen viele Neuankömmlinge aus dem Nahen Osten ein Leben bei uns gewählt haben. Ich glaube, das sollte man jetzt ins Positive wenden und daraus einen Informationsaustausch zu beider Seiten Vorteil machen, um das Arabische hier etwas heimischer werden zu lassen.

Bemerken Sie diese Entwicklungen auch in Bezug auf Ihre eigene Forschung zur arabischen Dichtung?   

Ja, ich merke das am Interesse, denn ich betreibe ja seit Jahrzehnten dieselbe Sorte von Forschung. Zurzeit aber sehe ich im Rundfunk, im Fernsehen und in der Presse einen stärkeren Fokus, wie zum Beispiel neulich ein Interview zum arabischen Dichter Abu Tammam (erschienen in der Berliner Zeitung vom 1./2. Juli 2017; Anm. d. Red.), einem der berühmtesten arabischen Dichter aus dem 9. Jahrhundert, dessen Name nun zum ersten Mal in einer deutschen Tageszeitung erschien. Leute wollen wissen, was ich tue – und das liegt nicht unbedingt an mir, sondern daran, dass in der Öffentlichkeit eine Neugierde für die arabische Kultur und Literatur aufgekommen ist. Das ist für uns, für meine Kollegen und mich, eine Chance, dieses Wissen, das leider nicht am Gymnasium vermittelt wird, durch die Medien zu verbreiten.

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Christina Heuschen

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